Gute Mücken und versteckte Stärke

Sarah M. Schmidt schreibt über Nahrungs­pflanzen und deren Kultur­geschichte

  • Anke Nussbücker
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Blüten von Kakaobäumen werden von Mücken bestäubt.
Die Blüten von Kakaobäumen werden von Mücken bestäubt.

Elf Nahrungspflanzen nimmt die Biologin Sarah M. Schmidt unter die Lupe – eine Auswahl von Pflanzen, die weltweit am häufigsten angebaut und gegessen werden. Mit ihrem Buch strebt sie das ehrgeizige Ziel an, die verschiedenen, oft widersprüchlichen Informationen aus digitalen Medien, Werbung und Fernsehen besser einzuordnen.

Der Titel des Buches »Ohne Mücken keine Schokolade« verspricht Spannung. Eine ganz bestimmte Art von Mücken, die Kakaomücken mit dem lateinischen Namen Ceratopogonidae, hat dank ihrer winzigen Körpergröße die Fähigkeit, weibliche Kakaoblüten mit den männlichen Pollen einer anderen Kakaoblüte zu bestäuben. Männliche Kakaomücken bedürfen keinerlei Blutmahlzeit, nur die weiblichen Insekten dieser Art brauchen das Blut eines Tieres oder Menschen.

Im Kampf gegen andere blutsaugende Mücken, die eine Vielzahl gefährlicher Krankheiten übertragen, sollte die Kakaomücke nicht übersehen werden, mahnt die Buchautorin. Hier aber hätte sie noch ausführlicher werden können. Denn mit dem Wissen um die Nützlichkeit einzelner Mückenarten erscheint die Freisetzung gentechnisch manipulierter Mücken, die ihre weiblichen Nachkommen kontinuierlich auslöschen, höchst bedenklich. Dies wird beispielsweise in Brasilien zur Bekämpfung von Malaria und Dengle praktiziert.

Weiter nimmt Sarah M. Schmidt die Leser*innen mit auf die Reise zu den Ursprüngen von Äpfeln, Zitrusfrüchten, Mais, Weizen, Reis, Kartoffeln, Kaffee, Zuckerpflanzen, Bananen und Kohlgemüse. Anhand der aus Südamerika stammenden Kartoffel erläutert sie nicht nur das Wesen der Züchtung, sondern auch deren Folgen für die Weltpolitik.

Zufälliger Züchtungserfolg

Die Kartoffelpflanze, die ursprünglich in Äquatornähe wuchs, ist an eine stets gleichbleibende Tageslänge von zwölf Stunden angepasst. In Europa gepflanzt, begannen die Kartoffeln zu spät, im September nach der herbstlichen Tag- und Nachtgleiche, dicke Knollen zu bilden, die dann vom einsetzenden Frost überrascht wurden. Erst nach einer zufälligen Züchtung, bei der die Blütenfarbe im Vordergrund stand, kam es zu einer Änderung im Erbgut, wodurch die europäischen Kartoffelsorten unabhängig von den langen Sommertagen wesentlich früher begannen, ihre Speicherorgane mit Kartoffelstärke zu füllen.

Irische Bauernfamilien ernährten sich bis zum Ausbruch der Kartoffelfäule im Jahr 1845 von bis zu sechs Kilogramm Kartoffeln pro Tag. Die Kartoffel war in Irland zum wichtigsten Grundnahrungsmittel geworden, da die Bauern das auf den Pachtflächen wachsende teure Getreide an ihre englischen Landbesitzer abliefern mussten. Der Nährwert der Kartoffel blieb den Herren des Vereinigten Königreiches hingegen verborgen, weil die oberirdischen Teile der Pflanze nicht essbar sind. Mit der Verbreitung der Kartoffelkrankheit im regnerischen Irland starben rund 1,5 Millionen Menschen an Hunger und dessen Folgen. Mehr als 2 Millionen Iren wanderten im Zuge der Hungersnot nach Amerika und nach Australien aus.

Globalisierung und Ungerechtigkeit

Zahlreiche weitere Ungerechtigkeiten im Zusammenhang mit Nahrungspflanzen kommen in dem Buch zur Sprache. Die Schattenseite der Rohrzucker-Ernte durch versklavte und verschleppte Menschen wird beleuchtet. Auch die Maispflanze konnte ihrem Schicksal »vom Geschenk der Götter zum industriellen Monster« nicht ausweichen. Nur eine Rache blieb den hochgezüchteten Maiskörnern: Ihr Verzehr brachte einen lebensgefährlichen Mangel an Vitamin B3 mit sich, allerdings ausgerechnet bei den ärmsten Menschen in Afrika.

Der Konsum von Kaffee hingegen läutete sogar die Zeit des europäischen Rationalismus ein. Ab dem 17. Jahrhundert ersetzte das Trinken von Kaffee den regelmäßigen Konsum von Wein oder Bier. Besonders die Intellektuellen, Wissenschaftler, Schriftsteller, aber auch Geschäftsleute und Politiker wussten Kaffee und einen geschärften Verstand zu schätzen. Europa erwachte aus einem durch Alkohol vernebelten Dämmerzustand.

Am Schluss jedes Kapitels erhalten Leser*innen einen »Pro-Tipp«, zum Beispiel Kartoffeln dunkel aufzubewahren, damit sie nicht so schnell keimen. Die Autorin warnt davor, dass das Wissen über Nahrungspflanzen aus früheren Hochkulturen verloren geht. Demut zu empfinden und zu staunen, angesichts der uns nährenden biologischen Wunder auf dem Planeten Erde, vermittelt die Autorin bestens.

Sarah M. Schmidt: Ohne Mücken keine Schokolade. Verblüffendes über 11 Pflanzen, die uns täglich schmecken. Leykam 2024, 317 S., geb., 25,50 €.

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